Interview zu Rück- und Ausbilck in den Schaffhauser Nachrichten vom 05.01.2023

Der Schaffhauser Stadtpräsident blickt zurück und nennt die Herausforderungen des kommenden Politikjahres, wie den Fachkräftemangel, ein Budgetreferendum, die Turbulenzen in seiner Partei und neue Verwerfungen in der Verkehrspolitik.

Interview: Mark LIebenberg

Herr Neukomm, ein ereignisreiches Jahr liegt hinter der Stadt Schaffhausen. Vor einem Jahr sagten Sie, die Stadt habe sich viel aufgeladen. Konnte alles gestemmt werden?

Peter Neukomm: Ich denke, wir haben einiges erreicht. Dazu zähle ich die Volksabstimmung über die Neugestaltung der Bahnhofstrasse, die Verabschiedung der Vorlage zum Hallenbadneubau im Grossen Stadtrat, die Erarbeitung der Vorlagen für Schulleitungen und für die Klimastrategie sowie das Sicherheitskonzept für den Munot. Und natürlich den sehr erfolgreichen Rechnungsabschluss 2021 sowie ein ausgeglichenes Budget 2023. Der Stadtrat hat im letzten Jahr 731 Beschlüsse gefasst, das ist doch eine eindrückliche Zahl!

In welchen Bereichen gab es Hindernisse oder Überraschungen?

Neukomm: Die sehr dünne Personaldecke und der Fachkräftemangel haben uns zu schaffen gemacht. Im Vergleich zu ähnlich grossen Städten sind wir personell sehr schlank aufgestellt, und uns ist bewusst, dass wir von unserem Personal viel verlangen. Als Randregion sind wir im Nachteil im Kampf um Fachkräfte und mit unseren Löhnen ebenso. Zurzeit haben wir 43 unbesetzte Stellen, davon allein 25 im Bereich der Altersbetreuung. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen wir für das Personalmarketing schon heute massiv mehr ausgeben als früher. Es ist nicht mehr so, dass die Arbeitnehmer von selbst zur Stadt als Arbeitgeberin finden.

«Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen wir für das Personalmarketing schon heute massiv mehr ausgeben als früher.»

Zur Person

Peter Neukomm (SP) ist seit Januar 2015 Stadtpräsident von Schaffhausen. Mitglied der Schaffhauser Stadtregierung ist er bereits seit 2009. Bis 2014 amtierte er als ­Finanz- und Personal­referent. Von 1993 bis 2008 war er Mitglied des Grossen Stadtrates, den er 2001 präsidierte. Seit 2013 ist Neukomm zudem Mitglied des Schaffhauser Kantonsrats. Der Jurist ist 60 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder.

Und der Stadtrat muss mit einem Budgetreferendum ins neue Jahr steigen. Was bedeutet das für die Planung, wie gross ist die Unsicherheit?

Neukomm: Meiner Meinung nach ist dies Gift vor dem Hintergrund unserer Rekrutierungsprobleme. Um konkurrenzfähige Löhne zu erreichen, muss die Stadt jetzt strukturelle Lohnanpassungen vornehmen können. Wir ziehen das nach, was der Kanton 2019 umgesetzt hat und hinken ihm nach wie vor hinterher, wie auch Studien belegen. Vor allem Mitarbeitende im Gesundheitsbereich würden von unseren Lohnmassnahmen profitieren. Klatschen allein hilft nicht, wenn wir auch künftig gelernte Pflegefachleute an den Betten unserer Senioren haben wollen.

Das Referendum richtet sich ja nun nicht in erster Linie gegen die Lohnanpassung von 4,5 Prozent, sondern eher dagegen, dass nicht auch bei den Steuern etwas geht …

Neukomm: Es soll ja etwas gehen, wir haben ein Steuerfussprozent weniger vorgeschlagen.

Das ist bescheiden, angesichts der gut 80 Millionen Überschüsse der letzten Jahre und des sehr hohen Eigenkapitals.

Neukomm: Es ist ein kleines Zeichen, ja. Mehr liegt aber auch nicht drin. Das Steuersubstrat jetzt um fast drei Millionen Franken pro Jahr herunterzuschrauben, wäre in meinen Augen grob fahrlässig. Wir sind vor allem wegen hoher Unternehmenssteuererträgen so gut unterwegs. Diese sind aber nicht wiederkehrend. Die Wirtschaftsprognosen sind nicht wirklich gut, man prognostiziert eine schwächelnde Konjunktur. Als ich vor drei Jahrzehnten in die Politik einstieg, hatten wir einen Steuerfuss von 112, heute sind wir bei 92! Es ist sehr schwierig, bei Bedarf den Steuerfuss wieder anzuheben, wie die Erfahrung zeigt. Dazu kommt, dass die Steuerzahlenden auch auf der Kantonsebene in den letzten Jahren stark entlastet worden sind.

Das ist eine sehr zurückhaltende, ja fast ängstliche Haltung. So gesehen dürfte man niemals die Steuern senken …

Neukomm: Inklusive dem aktuellen Budget haben wir die Steuern seit 2015 bereits um 6 Prozent gesenkt. Es gilt auch hier Mass zu halten. Wir sind zu einer vorausschauenden Steuerpolitik verpflichtet. Das schreibt uns das Finanzhaushaltsgesetz vor. Wir müssen so planen, dass wir die finanzielle Handlungsfähigkeit der Stadt erhalten. Ich erinnere daran, dass wir in den nächsten vier Jahren über 200 Millionen Franken in die öffentliche Infrastruktur investieren wollen. Und wir dürfen nicht riskieren, dass der Service public und die Infrastruktur unter einem zu tiefen Steuerfuss leiden. Das würde unsere Standort­attraktivität beeinträchtigen.

Ein Budgetreferendum wurde 2019 angenommen, 2021 ein Steuerfussreferendum abgelehnt. Wie stehen Ihrer Ansicht nach die Chancen diesmal?

Neukomm: Ich glaube, dass die Stimmberechtigten erkennen, dass wir ein gutes und ausgewogenes Budget vorgelegt haben. Bis dahin ist es natürlich suboptimal, ohne rechtskräftiges Budget starten zu müssen, aber die Stadt ist auch nicht ganz gelähmt. Es wird also keinen Baustopp geben beim Stadthausgeviert (lacht) .

Ihrer Partei, der stolzen SP Stadt, laufen zurzeit altgediente und prominente Politiker davon. Was denken Sie darüber?

Neukomm: Ich bedaure diese Abgänge sehr. Es sind Einzelpersonen, die jede ihre eigene Geschichte und ihre Beweggründe hat. Das muss ich nicht kommentieren.

Ihr langjähriger Fraktionspräsident Urs Tanner ortet einen «friendly Takeover» nach der Fusion mit der AL im letzten Frühling. Die ehemaligen AL-Leute geben nun den Ton an und stehen altgedienten Genossen vor der Sonne …

Neukomm: Ich sehe das überhaupt nicht so. Bei der Nominationsversammlung für die nationalen Wahlen im Herbst waren über 70 bisherige Parteimitglieder und bloss eine Handvoll Ex-AL-Leute zugegen. Linda De Ventura und Simon Stocker haben offenbar mehr überzeugt mit ihren Auftritten, weshalb sie nominiert worden sind. Wer sich einer demokratischen Ausmarchung stellt, muss auch damit rechnen, dass er den Kürzeren zieht.

«Wenn es meine Gesundheit zulässt, dann werde ich nächstes Jahr noch einmal als Stadtpräsident antreten.»

Sie sind im letzten Juli 60 Jahre alt geworden. Werden Sie nächstes Jahr noch einmal als Stadtpräsident antreten?

Neukomm: Im Mai wird es 30 Jahre her sein, seit ich in den Grossen Stadtrat gewählt worden bin. Seit 14 Jahren bin ich im Stadtrat. Die Stadt ist meine Herzensangelegenheit. Wenn es meine Gesundheit zulässt, dann werde ich nächstes Jahr noch einmal als Stadtpräsident antreten. Es gilt, viele angefangene Grossprojekte umzusetzen. Ich möchte die Einweihung der Kammgarn und des Stadthausgevierts sehr gerne im Amt miterleben.

Was wird wichtig im Jahr 2024?

Neukomm: Zum einen werden uns weitere Bauprojekte auf Trab halten, wie die Neugestaltung der Bahnhofstrasse, die Werkhöfe Grün und SH Power, die Schulanlage Kreuzgut, die Sportanlagen Schweizersbild oder die Vorlagen zur Sanierung der Schulanlage Steig oder die Umgestaltung der Verkehrsführung Adlerunterführung-Schwabentor im Rahmen des Agglomerationsprogrammes. Dann wird es mit der KSS-Vorlage zum Hallenbadneubau ernst, das Ziel wäre, über die Finanzierung parallel mit dem Kanton abzustimmen, ideal wäre im Juni. Wir hoffen, dass der Kantonsrat bald über die Vorlage beraten kann. Und dann wollen wir mit der Volksabstimmung über Schulleitungen endlich auf ein zeitgemässes Niveau in der städtischen Volksschule kommen und damit die Lehrpersonen entlasten. Und ich freue mich sehr auf die Kulturtage, die im Juni erstmals stattfinden.

Verkehrsfragen dürften auch im neuen Jahr viele Debatten auslösen. Der Präsident des Städteverbands hat kürzlich in einem neuen Positionspapier eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h in Schweizer Siedlungsgebieten und auf Hauptstrassen gefordert. Teilen Sie diese Haltung?

Neukomm: Die Ausgangslage ist die, dass sich immer mehr verschiedene Mobilitätsteilnehmer den knappen Strassenraum teilen müssen. Tempo 30 ist ein wichtiges Element, wie die Strassen von Lärm befreit und sicherer gemacht werden können und so die Wohn- und Lebensqualität der Stadtbewohner verbessert werden kann. In der Stadt Schaffhausen haben wir kein Konzept für eine flächendeckende Einführung, wir machen das punktuell.

Gleichzeitig ist aber noch eine städtische Volksinitiative hängig, die Tempo 30 auf Hauptverkehrsrouten verbieten will.

Neukomm: Der Stadtrat wird sich bald in einer Vorlage dazu vernehmen lassen. Ich gehe davon aus, dass es auf verkehrsintensiven Strassen weiterhin eine Einzelfallprüfung geben wird. Die Voraussetzungen dafür sind durch das Bundesrecht vorgegeben. Tempo 30 muss etwa dann geprüft werden, wenn die Sicherheit und die Lärmgrenzwerte nicht anders eingehalten werden können.

Der Stadtrat hat sich bisher stets hinter die Pläne des Astra zur zweiten Fäsen­staub-Tunnelröhre gestellt. Jetzt formiert sich Widerstand aus der Zivilbevölkerung. Bleiben Sie bei ihrer Unterstützung?

Neukomm: Das muss man ernst nehmen, bloss muss man sehen, dass die kommunale Ebene relativ wenig Einflussmöglichkeiten hat. Das Bundesamt für Strassen startet dieses Jahr die Auflage, es wird interessant sein, ob das Astra noch Verbesserungsvorschläge einbeziehen kann. Wir möchten zugunsten der Lebensqualität und Sicherheit möglichst das untergeordnete Strassennetz entlasten und aufwerten. Wie das ohne eine zweite Tunnelröhre gehen soll, erschliesst sich mir zurzeit nicht.

Das Lädelisterben in der Innenstadt ist ein Problem, das die Stadtbewohner jeden Tag vor Augen geführt bekommen. Jetzt wird die Stadt einen City Manager oder eine Managerin einstellen. Was soll diese Stelle in einem Jahr erreicht haben?

Neukomm: Die Ausschreibung für eine Koordinationsstelle für die Innenstadtentwicklung steht jetzt bevor. Sobald wir ein gültiges Budget haben, kann der Zuschlag erfolgen. Wir erhoffen uns, dass diese Person neuen Schub in die Debatte und die Altstadtentwicklung bringt. Wichtig ist nebst der Umsetzung konkreter Massnahmen die Vernetzung aller Stakeholder wie zum Beispiel der Einwohnerverein Altstadt, Pro City, Wirtschaftsförderung und notabene auch die Hauseigentümer. Ich bin überzeugt, dass diese ein Schlüssel zum Erfolg sind, wenn es um Themen wie die Zwischen­nutzung von Leerständen geht.

Herr Neukomm, danke für das Gespräch.