Hermann Schlatter – ein Stadtpräsident im Dilemma

Beitrag in der Beilage der Schaffhauser Nachrichten vom 26.06.2018 zum Generalstreik 1918

Hermann Schlatter war im Zusammenhang mit dem Generalstreik 1918 eine prägende Persönlichkeit in Schaffhausen. Der Werdegang des Arbeitersohns aus Hallau mutet geradezu abenteuerlich an. Fast durch Zufall wurde er Setzer und Drucker, später Redaktor. Früh schon interessierte er sich brennend für Politik, galt als geistreich, witzig, aber auch aufbrausend und emotional. Es ist deshalb kein Wunder, dass er auf einer Wand im Staatskeller des Kantons – zusammen mit anderen Politikern aus früheren Zeiten – prominent, in Form eines feurigen Springteufel verewigt wurde. Mein Vater kannte ihn noch persönlich und hat mir viel über ihn erzählt.
Dank einem wohlhabenden Gönner war es Schlatter möglich, Jurisprudenz zu studieren, obwohl er nie eine Matura absolviert hatte. Seine Berufung war aber ganz klar die Politik.
1903 wurde Hermann Schlatter in den Grossen Rat gewählt, drei Jahre später ins Bezirksgericht. Zur grossen Überraschung der Medien und der Öffentlichkeit zog er 1908 als erster Sozialdemokrat in den Stadtrat ein. Als Baureferent initiierte er einiges, von dem wir heute noch profitieren, wie zum Beispiel den Waldfriedhof und den Ausbau des städtischen Museums im Kloster zu Allerheiligen.
1917 wählten ihn die Schaffhauser zum Stadtpräsidenten. Knapp zwei Jahre später musste er schon wieder zurücktreten, weil ihm seine Rolle im Generalstreik angekreidet wurde.
Wie kam es dazu? Die Not der Bevölkerung war damals gross und die Schweiz stand am Rande eines Bürgerkrieges. Hermann Schlatters Herz schlug für die Notleidenden und Streikenden. Er war Demokrat, aber was sollte er von einer Demokratie halten, die nicht in der Lage oder willens war, einem grossen Teil der Bevölkerung angemessene Lebensbedingungen zu verschaffen? Als Stadtpräsident zeichnete er für Ruhe und Ordnung verantwortlich. Diese Rolle nahm er sehr ernst und vermittelte erfolgreich zwischen der Arbeiterschaft, zu der er einen guten Draht hatte und der Armee. So soll Major Schüpbach, der Kommandant der in Schaffhausen stationierten Truppen täglich im Hause Schalter zum Essen empfangen und mit Hallauer Rotwein bewirtet worden sein. Schlatter bewegte den Armeebefehlshaber im persönlichen Kontakt, zurückhaltender vorzugehen als dessen Kollege in Zürich.
Dass er nach dem Scheitern des Generalstreiks von bürgerlicher Seite unter Druck kam, war einerseits die Folge seiner klaren politischen Haltung, andererseits auch ein Ausdruck des vergifteten politischen Klimas. Die Leistungen von Hermann Schlatter in diesen kritischen Tagen wurden zu wenig gewürdigt. Ohne ihn und seinen erfolgreichen Spagat zwischen der Verpflichtung seines Amtes und seinen politischen Sympathien wäre es in Schaffhausen vermutlich zu gewaltsamen Zusammenstössen gekommen wie anderswo.