Häusliche Gewalt ist keine Privatsache

27.11.2019: Grussworte des Stadtrats zur Eröffnung der Ausstellung "Willkommen zu Hause."

Zuerst bedanke ich mich ganz herzlich für die freundliche Einladung und gratuliere dem Zonta Club – auch im Namen der Stadt – ganz herzlich zum grossen Jubiläum.
Nach Ihrer Einladung habe ich mich zuerst über Ihren Club etwas schlau gemacht. Ich habe gelernt, dass sich dieses internationale Netzwerk berufstätiger Frauen weltweit für die Rechte der Frauen einsetzt und für ein Leben ohne Gewalt gegen Mädchen und Frauen.
Aus diesen Zielen heraus ist offenbar die Motivation entstanden, aus Anlass des 100jährigen Jubiläums des Zonta Club International, die sehr eindrückliche und nachdenklich stimmende Ausstellung «Willkommen Zu Hause» nach Schaffhausen zu holen, wofür ich Ihnen auch im Namen des Stadtrats danke.

Als ich vor bald einem Jahr von Sabine Dubach und Regine Frey angefragt worden bin, ob ich bei der Vernissage dieser Ausstellung ein Grusswort der Stadtregierung überbringen würde, habe ich sehr gerne zugesagt.
Denn bevor ich vor gut 10 Jahren in die Stadtregierung gewählt worden bin, bin ich ja über 20 Jahre lang als Untersuchungsrichter und Staatsanwalt in der kantonalen Strafverfolgung tätig gewesen. Eines meiner Spezialgebiete waren Delikte an Kindern. Darum war ich mehrere Jahre lang Mitglied der Kinderschutzgruppe SH. Ich bringe für das Thema «häusliche Gewalt» also gewisse Erfahrungen mit.

Als ich Anfang der 90-er Jahre als Untersuchungsrichter meine berufliche Laufbahn gestartete habe, galten häusliche Gewalt, inkl. Vergewaltigung und sexuelle Nötigung noch als Privatsache und damit auch als Antragsdelikt. Entsprechend zurückhaltend verhielten sich Polizei und Untersuchungsbehörden bei der Verfolgung solcher Übergriffe. Sie wurden nur strafrechtlich verfolgt, wenn das Opfer einen formellen Strafantrag gestellt hatte – auch wenn die Strafverfolgungsbehörden bereits davon Kenntnis hatten.
Erste gesetzliche Verbesserung gab es dann am 1.1.1993 mit dem neuen Opferhilfegesetz. Bis dahin hat sich der Staat wenig um Opfer von Straftaten gekümmert.
Die grosse Änderung bei der Strafverfolgung kam ab 01.04.2004, als Übergriffe in der Ehe endlich zu Offizialdelikten wurden. Entsprechend musste in der Folge auch die polizeiliche Einsatzdoktrin angepasst werden.

Leider heisst das natürlich noch lange nicht, dass alle Delikte auch ans Licht kommen. Geblieben sind die Probleme beim Nachweis solcher Delikte, da sie sich meistens im privaten Raum ohne Zeugen abspielen, also im Verfahren meistens Aussage gegen Aussage steht. Geblieben ist auch das Problem, dass Frauen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit, wegen den Kindern oder bei Ausländerinnen wegen der Gefahr, nach einer Trennung ihren Aufenthaltsstaus zu verlieren, im Verfahren immer wieder zurückrudern und zu ihrem Peiniger zurückkehren.
Mit der Änderung des Strafgesetzbuches vom 1. April 2004 wurde auch die Bestimmung zur «Einstellung des Verfahrens» eingeführt. Dies deshalb, weil befürchtet wurde, dass eine ausnahmslose Verfolgung von Straftaten im Bereich häuslicher Gewalt in gewissen Fällen die legitimen Interessen der Opfer gefährden könnten. Deshalb kann das Verfahren bei gewissen Delikten sistiert – und sofern nicht innerhalb von 6 Monaten ein Widerruf erfolgt – eingestellt werden.
Die Verfahrenseinstellung ist also heute primär vom Opferwillen abhängig.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Mehrheit der Verfahren (ca. 60-80%) nach wie vor eingestellt werden.
Der Bundesrat möchte, dass solche Strafverfahren in Zukunft weniger häufig sistiert werden. Er schlägt deshalb vor, dass der Entscheid über die Fortführung eines Strafverfahrens nicht mehr nur vom Willen des Opfers abhängig ist. Der Ermessensspielraum der Strafverfolgungsbehörden bei der Sistierung und Einstellung der Strafverfahren soll vergrössert werden.
2013 schliesslich ist der strafrechtliche Schutz von Frauen und Kindern weiter ausgebaut worden. So kann zum Schutz konkreter Opfer insbesondere vor häuslicher Gewalt und Stalking ein Kontakt- und Rayonverbot gegen den Täter ausgesprochen werden.
Und aufgrund der Änderung des Strafgesetzbuches vom 26. Sept. 2014 können Opfer und ihre Angehörigen auf Gesuch hin detaillierte Auskunft über Strafvollzug, Entlassung oder Flucht des Täters verlangen.
Sie sehen, auch das Strafrecht hat sich den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst, aber immer etwas verzögert.

«Willkommen zu Hause» – so lautet der Titel der heute eröffneten Ausstellung. «Willkommen zu Hause» löst bei mir persönlich ein gutes Gefühl der Geborgenheit aus. Zuhause ist da, wo meine Liebsten sind, wo ich mich sicher und verstanden fühle und wo ich sein kann, wie ich bin.
Leider gibt es viele Menschen, bei denen das «Dihei» etwas ganz anderes bedeutet: Psychische und physische Übergriffe in der Paarbeziehung und – noch schlimmer – an Kindern sind leider aktueller denn je.
Die Ausstellung macht diese Gewalt in den eigenen vier Wänden öffentlich und zwingt den Besucher hinzuschauen! Sie zeigt aber auch Wege aus der Gewalt auf, indem sie über die geltende Rechtslage und das lokale Hilfsangebot informiert.
18’522 in der Schweiz registrierte Straftaten im vergangenen Jahr bedeuten einen bedenklichen Höchststand und die grosse Dunkelziffer ist da noch nicht enthalten. Im Durchschnitt jede Woche wird eine Person Opfer eines Tötungsversuchs. Letztes Jahr starben 27 Personen.
Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt verursachen also grosses Leid.
Darum will der Bundesrat die Massnahmen dagegen weiter verstärken.
Aufgrund der Verordnung zur Umsetzung der Istanbul-Konvention – dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – das am 01.04.2018 in Kraft getreten ist, soll im Budget 2021 ein Finanzhilfekredit über 3 Mio. Franken bewilligt werden. Es geht dabei um Informations- und Sensibilisierungskampagnen, Bildungsmassnahmen für Fachpersonen und um Präventionsprojekte. 
Dass das Thema nach wie vor zu wenig ernst genommen wird – auch in der Politik, zeigte die Budget-Debatte im Kantonsrat vom 18. November anschaulich: Das kantonale Parlament hat sich schwergetan mit dem Antrag der Regierung auf Bereitstellung von Fr. 150’000, verteilt auf drei Jahre, für die dringend nötigten personellen Ressourcen zur Schaffung einer strategischen Koordinationsstelle u.a. zur Umsetzung der Istanbul-Konvention.
Die vorberatende Kommission des Kantonsrats hatte beantragt, diese Stelle nicht zu bewilligen. Und die Diskussion über das wichtige Thema wurde im Ratsplenum mittels eines Ordnungsantrag abgeklemmt. Zum Glück gelang es dann doch noch eine Mehrheit der Vernunft zu schmieden, um dem Anliegen zum Durchbruch zu verhelfen. Der Rat hat den Kredit mit 37:19 Stimmen bewilligt.
Dieses Beispiel zeigt aber, dass die Einsicht in die Notwendigkeit, zum Schutz von Frauen und Kindern mehr unternehmen zu müssen als bisher, in unserem Land noch nicht sehr ausgeprägt ist.
Gerade darum ist es wichtig, dass auch im Kanton SH die Öffentlichkeit weiter sensibilisiert wird.
Und da ist ja in den letzten Tagen einiges gelaufen: Am 20.11.2019 wurde weltweit der Tag der Kinderrechte begangen und ich habe mich gefreut, dass es am 25.11., am internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, sogar möglich war, den Rheinfall orange einzufärben und dass viele Frauen für dieses Thema auch in Schaffhausen auf die Strasse gegangen sind. Dazu gehörten auch Vertreterinnen des Zonta Clubs.
Neben dieser Ausstellung, die bis am 11. Dezember dauert, beschäftigt sich auch eine Ausstellung mit dem Titel «…mitten drin die Kinder» vom 4. Dezember 2019 mit dem Thema Gewalt in der Familie. Da stellt die Kinderschutzgruppe Schaffhausen ihr Angebot für Personen vor, welche im Alltag eng mit Kindern zusammenarbeiten.
Zum Schluss danke ich dem Club Zonta Schaffhausen ganz herzlich für Ihre Initiative, diese interessante Ausstellung nach Schaffhausen zu holen.
Sie leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Aufklärung und Bewusstseinsbildung bei einem wichtigen Thema. Nur dank solcher Sensibilisierungsarbeit und der Hartnäckigkeit im politischen Diskurs wird sich zugunsten der Betroffenen in Zukunft etwas zu verbessern.
Ich wünsche Ihnen, liebe Gäste, viele spannende Eindrücke bei der Besichtigung der Ausstellung und dem Zonta Club natürlich viele interessierte Besucherinnen und Besucher und uns allen spürbare Fortschritte im Kampf gegen die häusliche Gewalt.