Stellungnahme des Stadtrats vom 22.06.2021 im Grossen Stadtrat zur Motion Urs Tanner „Bürgerrat abschaffen – Einbürgerungsverfahren verschlanken.“

Grossstadtrat Urs Tanner beantragt mit seiner Motion vom 21. Oktober 2020 die Abschaffung des Bürgerrates mit dem Ziel, das Einbürgerungsverfahren zu verschlanken.

Dies erfordert eine Anpassung der Stadtverfassung (Art. 56 und Art. 57).

Gerne nehme ich im Namen des Stadtrats dazu wie folgt Stellung:

Zuerst ein paar Bemerkungen zur Ausgangslage und zum heutigen Prozessablauf:

Gemäss Art. 97 des kantonalen Gemeindegesetzes (SR 120.100) können die Gemeindeverfassung ein Organ einsetzen, das auf Antrag des Gemeinderats den Entscheid über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts erteilt.

Die Stadt hat diese Möglichkeit wahrgenommen: Nach Art. 56 der Stadtverfassung hat sie mit dem Bürgerrat, der aus 15 Mitgliedern besteht, eine Bürgerkommission i.S.v. Art. 98 Abs. 3 Gemeindegesetz installiert.

Für diese Wahl verfügen die Fraktionen des Grossen Stadtrates über ein Vorschlagsrecht (Art. 3 Einbürgerungsverordnung; RSS 125.1). Die Aufgaben des Bürgerrates sind in der Einbürgerungsverordnung näher geregelt. Dem Bürgerrat stehen neben den Entscheiden über die Bürgerrechtsgesuche auch die Entscheide über die Erteilung des Ehrenbürgerrechts der Stadt Schaffhausen zu.

Ein Ehrenbürgerrecht wurde in den letzten 25 Jahren nicht erteilt, sollte dies wieder einmal zur Diskussion stehen, könnte der Entscheid auch vom Stadtrat gefällt werden.

Mit der Revision des Bundesgesetzes über das Schweizer Bürgerrecht (BüG; SR 141.0) per 1. Januar 2018 wurden die Voraussetzungen für eine Einbürgerung klarer und auch strenger formuliert (Art. 9 bis 12).

Dies macht sich bei den Vorstellungsgesprächen bemerkbar, die schon heute unter der Leitung des Stadtrates und im Beisein von drei Delegierten des Bürgerrates stattfinden. Der Stadtrat musste seit der Einführung des neuen Gesetzes nur vereinzelt Gesuche zurückstellen, was darauf zurückzuführen ist, dass die Einbürgerungsvoraussetzungen schon bei der Gesuchstellung weitestgehend erfüllt sind.

Die Fachspezialistin Einbürgerungen bei der Stadtkanzlei bereitet sämtliche Gesuche gewissenhaft und professionell vor und nimmt bei Problemen oder Mängeln, die eine Bürgerrechtserteilung in Frage stellen könnten, schon im Vorfeld mit den Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern das Gespräch auf.

Aufgrund dieser Ausgangslage mussten seit dem Inkrafttreten der Gesetzesrevision, also in den vergangenen drei Jahren, weder der Stadtrat noch der Bürgerrat ein Gesuch ablehnen.

Der Bürgerrat entscheidet heute jeweils auf Antrag des Stadtrates über die Einbürgerungsgesuche.

Nachdem die Einbürgerungskandidatinnen- und kandidaten das Vorstellungsgespräch vorbehaltlos absolviert haben und der Stadtrat dem Gesuch entsprochen hat, besteht auf der Stufe Bürgerrat schliesslich kaum noch Ermessenspielraum für eine abweichende Beurteilung oder Ablehnung.

Daher ist die Aussage des Motionärs zutreffend, dass seit der Bürgerrechtsrevision an den Bürgerratssitzungen nur noch wenig bis kein Diskussionsbedarf besteht.

Im vereinfachten Verfahren, d.h. bei Einbürgerungswilligen, welche acht obligatorische Schuljahre in der Schweiz absolviert haben, entscheidet schon heute der Stadtrat allein über die Einbürgerungsgesuche.

Die Vorstellungsgespräche finden jeweils unter der Leitung eines Stadtratsmitgliedes und der Fachspezialistin Einbürgerungen der Stadtkanzlei statt.

Inhaltlich gestalten sich die Gespräche genau gleich wie beim ordentlichen Verfahren. Massgebend dafür ist ein vom Bund vorgegebenes Fragenraster.

Dieses Verfahren hat sich bestens bewährt, so dass es problemlos auch bei den ordentlichen Verfahren angewendet werden kann.

Nun zum Anliegen der Motion und was eine Änderung des Prozesses bedeuten würde:

Der Bürgerrat tagt heute in der Regel drei bis viermal pro Jahr, je nach Anzahl der Gesuche.

Pro Sitzung erhalten die Bürgerratsmitglieder ein Sitzungsgeld von 130 Franken, das Präsidium eines über 260 Franken.

Wie erwähnt, nimmt jeweils eine Delegation von drei Mitgliedern des Bürgerrates an den Vorstellungsgesprächen teil, die von einem Stadtratsmitglied geleitet und von der Fachspezialistin Einbürgerungen der Stadtkanzlei betreut werden.

Pro Jahr finden ca. 8 – 10 Vorstellungsgespräche statt. Insgesamt werden somit rund 12’000 Franken Sitzungsgelder an die Bürgerratsmitglieder ausbezahlt.

Bei einer Abschaffung des Bürgerrates würden diese Sitzungsgelder entfallen resp. könnten eingespart werden.

Wie eine aktuelle Umfrage in anderen Städten ergeben hat, geht der Trend schweizweit klar in die Richtung, welche die Motion fordert: Heute sind in vielen Städten und Gemeinden die Exekutiven allein für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts zuständig.

Im Kanton Zürich übernehmen bereits in 121 von 162 Gemeinden bereits die Stadt- und Gemeinderäte diese Aufgabe.

Das gilt auch für Städte wie Fribourg, Biel oder Aarau.

Auch innerhalb des Kantons Schaffhausen entscheiden heute bereits in einigen Gemeinden der Stadt- bzw. Gemeinderat über Einbürgerungen, so z.B. in Bargen, Büttenhardt, Dörflingen, Gächlingen, Hemishofen, Lohn, Stetten, Trasadingen und Stein am Rhein.

Auf der kantonalen Ebene hat sich das Einbürgerungswesen in ähnliche Richtung entwickelt: Vor einigen Jahren gab es noch die vom Kantonsrat gewählte Petitionskommission, welche für die Vorberatung der kantonalen Einbürgerungen zuständig war. Diese Kommission wurde jedoch mit der Revision des kantonalen Bürgerrechtsgesetzes per 1.1.2007 aufgehoben und seither ist der Regierungsrat für die ordentlichen Einbürgerungen zuständig.

Die Gesuche werden vom Amt für Justiz vorbereitet und dem Regierungsrat zum Entscheid unterbreitet. Das Verfahren hat sich bewährt.

Durch eine Abschaffung des Bürgerrates könnte das Einbürgerungsverfahren verschlankt werden, was für die Einbürgerungskandidatinnen und -kandidaten positive Auswirkungen hätte.

Bei einer Anpassung des Verfahrens an dasjenige bei den vereinfachten Einbürgerungen könnten die sehr langen Wartezeiten im ordentlichen Verfahren verkürzt werden, da der Stadtrat direkt nach dem Vorstellungsgespräch über die Einbürgerung entscheiden könnte.

Momentan kommt es jeweils zu einer Wartezeit von zwei bis drei Monaten, bis der Bürgerrat wieder zusammenkommt und entscheidet, was die sowieso schon sehr lange Gesamtdauer des Verfahrens unnötig verlängert.

Dies ist zuweilen auch für Einbürgerungskandidatinnen und -kandidaten zu Recht nur schwer nachvollziehbar.

Mit dieser Vereinfachung könnte die Stadt ein Signal für eine effiziente und bürgerfreundliche Verwaltung aussenden.

Mit dem Wegfall von 3 bis 4 Bürgerratssitzungen würde die Stadtkanzlei zudem eine kleine Entlastung erfahren.

Die allfällige Befürchtung, dass mit einer Abschaffung des Bürgerrats der Einbürgerungsprozess demokratisch weniger legitimiert wäre, erweist sich als unbegründet, da es sich beim Stadtrat, der ja schon bei den vereinfachten Einbürgerungen allein entscheidet, um ein direkt demokratisch gewähltes Gremium handelt, dessen Mitglieder verschiedenen Parteien angehören. Im Gegensatz zu den Mitgliedern des heutigen Bürgerrats ist der Stadtrat sogar direkt vom Volk gewählt.

Zudem bleibt auch für ihn der Entscheidungsspielraum sehr klein, weil die Einbürgerungsvoraussetzungen im neuen Bürgerrecht sehr strikte vorgegeben sind.

Wie einleitend erwähnt mussten seit dem Inkrafttreten der Gesetzesrevision weder der Stadtrat noch der Bürgerrat ein Gesuch ablehnen.

Der Stadtrat ist die richtige Behörde für den Einbürgerungsentscheid. Warum?

Weil es sich bei der Einbürgerung nicht mehr um einen politischen Entscheid, sondern um einen rechtsanwendenden Verwaltungsakt handelt.

Diese rechtliche Qualifikation gilt seit einem Leitentscheid des Bundesgerichts aus dem Jahre 2003 und wurde seither x-mal bestätigt.
Ich zitiere hierzu das Bundesgericht aus einem Urteil vom 09.07.2003 (BGE 129 II 232):

«In der Vergangenheit wurden Einbürgerungsentscheide überwiegend als politische Entscheide verstanden. (…) Diese Auffassung kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden: In Einbürgerungsverfahren wird über den rechtlichen Status von Einzelpersonen entschieden. Das Einbürgerungsverfahren wird auf Gesuch des Bewerbers eingeleitet. In diesem Verfahren wird insbesondere abgeklärt, ob der Bewerber in die schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist und mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist, d.h. es erfolgt eine einzelfallbezogene Prüfung. Das Verfahren endet mit der Erteilung des Bürgerrechts oder der Abweisung des Gesuchs, d.h. einer individuell-konkreten Anordnung, die alle Merkmale einer Verfügung erfüllt».

Auch, wenn kein Anspruch auf Einbürgerung besteht, muss die zuständige Behörde die einschlägigen Verfahrensbestimmungen und den Anspruch der Bewerberinnen und Bewerber auf möglichste Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte, insbesondere im Bereich des Datenschutzes, beachten; sie darf weder willkürlich noch diskriminierend entscheiden.Sie muss ihr Ermessen pflichtgemäss, nach Sinn und Zweck der Bürgerrechtsgesetzgebung ausüben. Es handelt sich somit materiell um einen Akt der Rechtsanwendung. Das heisst auch, dass die Gesuchsteller im Einbürgerungsverfahren über Parteistellung verfügen: Sie haben Anspruch auf einen Entscheid über ihr Gesuch, d.h. auf verfügungsmässige Erledigung des Einbürgerungsverfahrens.

Und als Partei eines Verwaltungsverfahrens haben die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs und auf eine Begründung (Art. 29 Abs. 2 BV in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 BV), insbesondere, wenn ihr Gesuch abgewiesen wird.

Für den Stadtrat und die Verwaltung gehören solche rechtsanwendenden Verfügungen zum Tagesgeschäft.

Darum sind sie auch im ordentlichen Einbürgerungsverfahren wesentlich besser geeignet, solche Entscheide zu fällen, als reine Laien- oder Milizgremien.

Weil ordentliche Einbürgerungsentscheide noch eine gewisse politische Sensibilität verlangen, wird der Stadtrat in der Umsetzung prüfen, wie durch den Beizug zusätzlicher Personen aus der Verwaltung oder aus dem Grossen Stadtrat zu den Vorstellungsgesprächen, die Wahrnehmung des verbleibenden Ermessensspielraums breiter abgestützt werden könnte, ohne dafür eine eigenständige Behörde zu installieren.

In der städtischen Einbürgerungsverordnung könnte geregelt werden, dass in den Anträgen an den Stadtrat zu den Einbürgerungsgesuchen Transparenz hergestellt wird, indem die Haltung aller an den Vorstellungsgesprächen Beteiligten offen zu legen wäre.

Fazit: Aufgrund der Entwicklung der eidgenössischen Bürgerrechtsgesetzgebung und damit in der Praxis gemachten Erfahrungen erachtet der Stadtrat das Anliegen der Motion als berechtigt.

Es gibt keine gewichtigen Gründe, welche eine weitere Ungleichbehandlung des ordentlichen und vereinfachten Einbürgerungsverfahrens rechtfertigen würden.

Deshalb macht es Sinn, wenn die Exekutive nicht nur für die vereinfachten, sondern auch für die ordentlichen Einbürgerungsverfahren zuständig ist, zumal es sich bei den Einbürgerungsentscheiden in beiden Verfahren um rechtsanwendende Verwaltungsakte handelt.

Der Stadtrat ist deshalb bereit, den Vorstoss entgegenzunehmen.

Damit könnten nicht nur Sitzungsgelder eingespart werden, sondern auch Verwaltungsabläufe bürgerfreundlich optimiert werden.

Sinnvollerweise wird eine solche Verfassungsrevision, welche Auswirkungen auf eine gewählte Behörde haben, auf einen Legislaturwechsel hin geplant.

Das heisst, die Abschaffung des Bürgerrats würde bei einer Überweisung des Vorstosses und einer erfolgreichen Volksabstimmung auf die Legislatur 2025 – 2028 vollzogen.

Um allenfalls verbleibenden Bedenken Rechnung zu tragen, sind wir gerne bereit, im Rahmen der Umsetzung Modelle zu prüfen, wie die Vorstellungsgespräche durch den Beizug weiterer Personen etwas breiter abgestützt werden könnten.